Samstag, 19. Januar 2019

Geschichte der städtischen Mädchenberufsschule zu Danzig, begründet den 12. April 1920


Von der Volksschullehrerin zum Aufbau einer Berufsschule

Wie und weshalb ich in Danzig die Direktorin der Mädchenberufsschule wurde! 


Schuld daran ist eigentlich unser verehrter Direktor Neumann von der Viktoria-Schule in der Holzgasse in Danzig!
Warum? Als ich in der Zeit von 1895-1898 das Lehrerinnen-Seminar besucht hatte, nahm ich an dem von unserem Danziger, etwas gefürchteten Musikkritiker Herrn Professor Doktor Karl Fucks [?] angeregten und von ihm selbst geleiteten Klavierstundenzirkel teil, für den wir Teilnehmerinnen monatlich drei Mark bezahlten. Ich hatte die Aufgabe, dies Geld einzusammeln und monatlich unserem Direx abzuliefern. (Es war für mich immer ein besonderer Augenblick, das Zimmer unseres verehrten Direktors besuchen zu dürfen!)
So wußte also Direktor Neumann, daß ich an dem Klavierstundenzirkel bei Doktor Fucks  teilnahm.
Etwa zwei Jahre nach meinem Lehrerinnenexamen erhielt ich zu meinem größten Erstaunen eine Postkarte von Direktor Neumann mit der Bitte, ihn aufzusuchen, es handele sich um Klavierstunden! Und dann erfuhr ich von ihm, dass ein Hauptmann W., der nach Danzig versetzt worden war, für seine Tochter eine Klavierlehrerin suchte und da sei ihm eingefallen, dass ich ja bald Doktor Fucks Klavierstunden gehabt hätte! Ich war zuerst ganz erschrocken! Ich sollte Klavierstunden geben?! Doch der Direx redete mir gut zu – Er gab mir noch den Rat, für die Stunde 0,75 M zu nehmen!
Und so geschah es! Und im Laufe der Jahre entwickelte sich mit der ganzen Familie W. und mir eine herzliche Freundschaft. Sie besteht noch bis zum heutigen Tage! Und dann kam 1908 oder 1909 eine Schwester des nunmehrigen Majors W. aus Braunschweig zu Besuch. Sie war sehr erstaunt darüber, dass ich als evangelische Christen nicht Mitglied des evangelischen Frauenbundes sei. Das sei doch meine Pflicht! Nun ja, wenn das meine Pflicht ist, dann muss ich wohl!
Durch einen eigenartigen Zufall erfuhr ich, wo und wann der evangelische Frauenbund, der von Fräulein Helene Sauerhering geleitet wurde, eine Zusammenkunft hatte. Sehr merkwürdig war das! Ich also hin! Der evangelische Frauenbund war damals eine recht exklusive Vereinigung. Der Kreis war auch nicht groß, soweit ich im Laufe des Jahres beobachten konnte. So war es für Fräulein S.sicher etwas recht Ungewöhnliches, daß ich, als sie mir die Tür zum Versammlungsraum öffnete, ganz unbefangen fragte, ob hier der evangelische Frauenbund tage und dabei erklärte, daß ich in diesen Bund eintreten wolle.
Nun ja, ich wurde aufgenommen, irgendwie ausgefragt, man erfuhr daß ich Lehrerin sei – ich war damals 30 Jahre alt – und schon war mein Schicksal besiegelt! – In den nächsten Tagen stand Fräulein S. vor mir in meiner Wohnung und forderte mich freundlich auf, doch am nächsten Sonntag im "Sonntagsheim für junge Mädchen", das vom Frauenbund eingerichtet war, die Leitung des Abends zu übernehmen! – Was blieb mir anderes übrig?! Ich sagte zu! Man feierte gerade den 100. Geburtstag von Mendelssohn: seine "Lieder ohne Worte" bildeten sozusagen den Auftakt zu meiner späteren Entwicklung! Denn – Fräulein S. ließ nicht locker! Alle 14 Tage – der Sonntagnachmittag – gehörte von nun an dem Sonntagsheim für junge Mädchen!
Als dann im Jahre 1912 allgemein der Ruf an die Lehrerschaft erging, sich der schulentlassenen Jugend anzunehmen, da kam dann, ich war damals Lehrerin in Schidlitz, für den anderen Sonntag der christliche "Schidlitzer Jugendbund" hinzu! Ich hatte ja eine Erfahrung in der Jugendbetreuung!
Und so gingen die Jahre hin, bis ich im März 1920 zu meiner größten Überraschung ein Schreiben von Herrn Direktor Jasse erhielt, in dem ich gebeten wurde, ihn wegen der im Stadtparlament – aufgrund der Weimarer Verfassung – beabsichtigten Errichtung einer Mädchenberufsschule aufzusuchen! – Ich muß gestehen, dass ich keine Ahnung davon hatte, was es um eine Mädchenberufsschule sei. Mir schwebte irgend so eine freiwillige Betreuung jugendlicher Mädchen vor – nun in dieser Beziehung war ich ja reichlich erfahren!
Ich ging mit ziemlichem Unbehagen zu dieser Rücksprache mit Herrn Direktor Jasse zur Knaben-Fortbildungsschule, (so hieß sie damals noch) zur Großen Mühle. Ich erfuhr nun von Herrn Direktor Jasse selbst, daß er vom Danziger Lehrerinnen-Verein, der unter der Leitung von Fräulein Katharina Stelte stand und von ihrer Mitarbeiterin Fräulein Gertrud Mielke, aufgefordert war, sich an mich wegen der Errichtung der Mädchenberufsschule zu wenden. – Es war mit der Zeit ja bekannt geworden, daß ich mich der schulentlassenen Jugend schon seit Jahren angenommen hatte.
Das war Ostern 1920! Ich sollte mich nun entscheiden. Die Entscheidung fiel mir nicht leicht, hatte ich doch keine rechte Vorstellung von der Aufgabe, die an mich heran trat. So schob ich meinen Entschluß von einem Tag zum anderen auf, bis ich schließlich aufgefordert wurde, zur Rücksprache bei Herrn Senator Strunk zu erscheinen.
Wenn ich heute zurückdenke, so muß ich mich nachträglich doch etwas schämen, wie unbeholfen und unvorschriftsmäßig ich mich damals vor unserem höchsten Vorgesetzten Herrn Senator Strunk benommen habe! Der Schulsenat hatte damals seinen Sitz auf Neugarten. Da ich an der Mädchenschule in Schidlitz unterrichtete, ging ich nach Schulschluß zur anberaumten Rücksprache zum Senat. Meine Schülerinnen hatten mir in der Schule Blumen geschenkt – wahrscheinlich waren es Osterllilien und Kätzchen – und mit diesen Blumen im Arm machte ich meinen Arbeitsbesuch bei unserem Schulsenator! – Das tut man doch aber nicht!
Gefragt, wie ich mich nun entschlossen hätte, brachte ich meine großen Bedenken vor, vor allem waren wir ja nun auch mittlerweile klar geworden, dass ein großer Verwaltungsapparat damit verbunden ist, und davor graute mir besonders! Ich brachte schließlich auch auch vor, daß ich auch nicht einmal telefonieren könnte! Nun, ich höre noch heute das herzhafte Lachen des Senats! "Ach, Fräulein Groth das werden sie schon noch lernen!" – Und schließlich zeigte er mir, was für eine große und schöne Aufgabe doch vor mir liegen – der Funke schlug ein!
Ich sagte zu – auf ein Jahr!

Die Aufbauphase


Ostern 1920 trat ich aus der Volksschule aus! Ich bezog das Zimmer neben dem Amtszimmer von Herrn Direktor Jasse an der Großen Mühle. Dieses Zimmer musste ich mich mit Herrn Sasse, dem stellvertretenden Direktor, teilen. Der Danziger Lehrerrinnen-Verein hatte eine so genannte "freiwillige Klasse" schulentlassener Mädchen gebildet, den Handarbeitsunterricht in dieser Klasse hatte Fräulein Zeim erteilt. Die Schülerinnen zahlten ein kleines Schulgeld, sie erhielten wöchentlich 20 Unterrichtstunden.
Diese Klasse bildete zusammen mit der vom "Danziger Verein Frauenwohl" unter der Leitung von Fräulein Maria Meier eingerichteten Klasse für Schneiderlehrlinge den Grundstock der Mädchenberufsschule. An dieser Lehrlingsklasse gab die Kunstgewerblerin Fräulein Else Schulz den Fach-und Zeichenunterricht. Den theoretischen Unterricht erteilte unter anderen die Volksschullehrerin Fräulein Dienerowik. Die Namen etwaiger anderer Lehrerinnen sind mir entfallen.
Am 12. April 1920 begann also mit diesem Grundstock die Mädchenberufsschule zu Danzig!
Das Ortsstatut trat dann für alle gewerblichen und kaufmännischen Lehrlinge Ostern 1921 in Kraft! Es hieß für mich, mit dem Aufgabengebiet vertraut zu werden. –
Da aufgrund der Weimarer Verfassung in ganz Deutschland nun auch Berufsschulen für Mädchen eingerichtet werden mußten. (Für Knaben bestanden ja schon seit langen die so genannten Fortbildungs-Schulen!) erging von Leipzig aus, wo unter Else Sander schon seit längerer Zeit eine Mädchenberufsschule bestand, an alle für die Errichtung von Mädchenberufsschulen vorgesehenen Lehrkräfte die Aufforderung, an einem sechswöchigen Einführungskurses teilzunehmen. Ich wurde von der Stadt dazu hingeschickt in sechs Wochen in der Zeit von Juni bis Juli 1920.
Diese Einführung war äußerst interessant für alle – aber auch ungeheuer anstrengend, - fing es ja immer schon um 7:00 Uhr morgens an und dauerte bis zum späten Abend. (Wir alle sahen schließlich nur noch wie abgemagerte Droschkengäule aus!)
Es trat nun an mich die Aufgabe heran, für die ab April 1921 erwarteten Schülerinnen, Handwerks-und kaufmännische Lehrlinge, die notwendigen nebenamtlichen Lehrkräfte heranzuziehen.
Ich wandte mich daher mit einem Rundschreiben an die Lehrerinnen der Volksschulen.
Am 20. Oktober 1920 fand dann die erste Werbe-Versammlung in der Aula der Viktoriaschule in Anwesenheit von Senator Dr .Strunk statt.
Und ich hielt meine "Jungfernrede"! Konnte ja nun von Leipzig sehr viel berichten!
Mit dem Erfolg konnte ich recht zufrieden sein!
Ich richtete daraufhin verschiedene Einführungskurse ein. Die Herrn Fiek u. Krieg von der männlichen Berufsschule übernahmen die Kurse für Berufs-& Fachkunde und Buchführung, Professor Petersen für Kunstgewerbe, Professor Glimm von der technischen Hochschule und Doktor Eikleben Kurse für Nahrungsmittellehre etc. 
Die Kurse fanden in der Schule Großen Mühle und in der Hochschule statt.
So verging der Winter.
Im April 1921 trat das Ortsstatut in Kraft – und damit der Kampf mit den Arbeitgebern!
An dieser Stelle ist es mir eine liebe Pflicht, zu bezeugen, dass Herr Direktor Jasse mir treulich in dieser für mich nicht leichten Zeit mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat.
Als treue und gewissenhafte Hilfe hatte er mir aus seinem Geschäftszimmer Fräulein Else Hauffe beigegeben, die dann auch bis zum schweren Zusammenbruch unseres Vaterlandes 1945 und zum Zerfall unserer Schule – 25 Jahre hindurch dem Geschäftszimmer vorstand.
Was es damals hieß, die Arbeitgeber zur Einhaltung der Berufsschulpflicht ihrer Angestellten zu verpflichten, davon kann man sich heute (1958) keine Vorstellung machen. Es war ein dauernder Kampf! Wieviel tausend Versäumnisanzeigen und Strafmandate habe ich, besonders in den ersten Jahren, unterzeichnen und bearbeiten müssen!
Verpflichtet zum Schulbesuch waren alle kaufmännischen und gewerblichen Lehrlinge und alle ungelernten Arbeiterinnen. Die Hausangestellten waren noch nicht schulpflichtig.
Die Lehrlinge erhielten 8 Wochenstunden. Für die gewerblichen Lehrlinge wurden diese 8 Stunden an einem Tag erledigt, da der Unterricht in 4 Stunden Theorie und vier Stunden Fachunterricht zerfiel. Die kaufmännischen Lehrlinge, Kontoristinnen und Verkäuferinnen kamen 2 x zu je 4 Stunden zum Unterricht.
Die Arbeiterinnen erhielten 6 Stunden Unterricht hintereinander.
Zu diesen Pflichtklassen kamen dann noch die freiwilligen Klassen, die 20 Wochenstunden erhielten. Für diesen Unterricht wurde auch ein Schulgeld bezahlt. Die Fürsorgestelle für Kriegerwaisen war an mich herangetreten mit der Bitte, für die Kriegerwaisen solche Klassen einzurichten.
So lief die Schule an – und wurde immer größer und größer.
Ein eigenes Schulhaus besaß ich nicht! Mein Amtszimmer wurde schließlich ein kleiner Raum, der als Lehrmittelzimmer für elektrische Geräte zum Gebrauch für Elektrotechniker in der Knabenschule gebraucht wurde.
Mein Geschäftszimmer lag unter mir im Erdgeschoß, dem Geschäftszimmer für die Knaben entgegengesetzt. 
Das Lehrmittelzimmer war lag unter dem Dach im 4. Stock. Ein Lehrerinzimmer war nicht vorhanden. Für meine Schülerinnen standen 3 Klassenräume zur Verfügung. Nun, die Lehrkräfte, die diese Anfangszeiten mitgemacht haben, können noch manch ein Lied davon singen, was es heißt, Jungen und Mädel zu damaligen Zeiten unter einem Dach zu beherbergen! (Heutzutage Ist die "coedukation" nichts Besonderes! 1958) Selbstverständlich waren wir Eindringlinge, die "Mariellen" an allem Unfug schuld!
So waren wir also gezwungen, in den anderen Schulhäusern – am Nachmittag! – Unterkunft zu suchen, außerdem natürlich auch in den Schulen der Außenwerke!
[Die Namen der folgenden Schulhäuser sind unter Umständen falsch gelesen:]
Rund 14 Schulhäuser belegten wir.
Große Mühle, Faulgraben, Viktoriaschule, schwarzes Meer, Mähn, Mittaggasse, Weidengasse, Neuschottland, Oliva, Neufahrwasser, Brösen, Schidlitz, Altschottland, Heubude.
Der Stamm der hauptamtlichen Lehrkräfte wurde immer größer, ebenso vergrößerte sich die Zahl der nebenamtlichen Lehrkräfte.
Ich selbst galt als "Abteilungsleiterin" unter dem Direktorat von Herrn Direktor Jasse.
Das ging so 4 Jahre lang. Ich hatte mich sehr bald in meine Aufgabe und Arbeit gefunden, handelte in allen Dingen durchaus selbständig. Herr Direktor Jasse verwaltete nur den für unsere Schule gemeinsamen Etat.

Selbständige Schule mit eigenem Etat


Herr Direktor Jasse hatte mit meiner nun aufgebauten Schule keinerlei Beziehung. So war es für mich höchst erstaunlich, als er auf einmal beanspruchte, von nun an, meine Klassen aufzusuchen und dem Unterricht der Lehrkräfte beizuwohnen! Ich hatte durchaus nicht die Meinung, dass die Mädchenberufsschule eine "Abteilung" der Knabenberufsschule sei! Und dass Herr Direktor Jasse mein Vorgesetzter für alle Zeiten sei!
Ich zog also die Konsequenz!
Ich suche Herrn Oberschulrat Thiel, dem das Dezernat für das Berufsschulwesen – (sehr zu seinem Unbehagen, denn dies Schulwesen war ihm durchaus fremd!) – übertragen war, auf und berichtete ihm die Absicht von Herrn Direktor Jasse und erklärte, daß ich in bäte, mich an die Volksschule zurück zu versetzen. Ich hätte ja jetzt die Schule aufgebaut, hätte nicht den geringsten Grund, die jetzt aufgebaute Mädchenberufsschule als ein "Anhängsel" oder eine "Abteilung" der Knabenberufsschule anzusehen. Meine Bitte hätte ich mir ein wohl überlegt und entsprechend meinem festen Ernst und Entschluß. Ich hätte immer gern an der Volksschule unterrichtet.
Nun, das war ja allerdings für Herrn Oberschulrat Thiel ein "Blitz aus heiterem Himmel"!
Das Dezernat für die Berufsschulen war ihm unbedingt ein lästiges "Anhängsel". Er hatte eigentlich keine Ahnung vom Berufsschulwesen. Und nun dieses! Er war sichtlich entsetzt über mich, sagte, das könne käme gar nicht infrage, dass ich zur Volksschule zurück ginge! Und ich sollte mal schriftlich erklären, wie ich mir meine zukünftige Stellung denke!
Nun, das habe ich dann auch getan. Meine Schule zählte damals etwa 2600 Schülerinnen, Herr Direktor Jasse hatte etwa 4000-5000 Schüler. In meinem Schriftstück erklärte ich etwa folgendes: Nachdem ich die Schule aufgebaut hätte, völlig selbständig – ohne Herrn Direktor Jasse – hielte ich es für richtig, meine Stellung zur Schule auch nach außen als ihre Leiterin an zu erkennen.
"Für mich die Bürde und für Herrn Direktor Jasse die Würde", darauf könnte ich nicht eingehen! Ich bäte, mich zur Volksschule zurück zu versetzen.
(Wenn ich dies hier in meinem 80. Lebensjahr hier niederschreibe, dann muß ich doch den Kopf schütteln über meine damalige Kühnheit.)
Nun, – der Erfolg?
Umgehend erhielt ich vom Schulsenat die Nachricht, daß ich ab Ostern 1925 zur Direktorin der Mädchenberufsschule ernannt werde! Es kam aber leider noch ein anderer Erfolg! Leider!
Von diesem Zeitpunkt an war das [Fi??] zwischen Direktor Jasse und mir kaputt!
In einer Aussprache mit Herrn Direktor Jasse erklärte er mir offen heraus, daß er die Absicht gehabt hätte, sich auf diese Weise zum Gewerbe-Schulrat zu machen. Und dann sollte ich Direktoren werden! Nun ja, wir hatten in Danzig keinen Gewerbe-Schulrat, und ich will gerne zugeben, daß der Direktor Jasse vielleicht ganz geeignet dazu gewesen wäre. Doch, was hatte das mit mir und meiner Schule zu tun?
Also – Ostern 1925 wurde ich Direktorin der Schule! Meine Einführung war denkwürdig!
Ich erhielt ein Schreiben – meine Bestellungsurkunde und dazu und damit verbunden die Aufforderung, für den "Stempel" 2,50 Gulden (ich glaube, soviel war es!) in die Kämmerei- Kasse zu zahlen! Das war alles!
Herr Oberschulrat Thiel, den ich bat, doch zu der Konferenz, die ich nach den Ferien halten würde, zu erscheinen, erklärte mir, dass er keine Zeit hätte! – (Ich habe dies später einmal Herrn Senator Strunk erzählt. Der war empört und fragte mich, ob er ihn nachträglich noch zur Rechenschaft ziehen solle. Ich verzichtete, stand Oberschulrat Tihiel ja kurz vor seiner Pensionierung!)
Ab Ostern 1925 wurde der Etat der Mädchenschule von dem Etat der Knabenschule getrennt. Ich hatte also das alleinige Verfügungsrecht über den Etat.
Ich sah nun vor allem meine Aufgabe darin, der Mädchenberufsschule die Achtung und Anerkennung zu verschaffen, die ihr gebührt.
Dazu gab natürlich eine Ausstellung die beste Gelegenheit!
Es hieß nun Material beschaffen, denn Handarbeiten sollten angefertigt werden.
Im Materialbeschaffen hatte ich schon einige Erfahrung. Als wir Ostern 1920 anfingen, gab es doch nur Stoffe auf Karten! Ich sehe mich noch mit Fräulein Otto im Speicher in der Judengasse! Fahnenstoff und Militär-Wolldecken konnten wir erhalten. Und später erhielten wir auf Veranlassung des Medizinaloberarztes Doktor Seemann dutzendweise Militärlaken, aus denen unsere Schülerinnen Kopfkissenbezüge für die Lazarett and machen sollten. Das Nähgarn wurde uns geliefert.
Nun, im Jahre 1925 hatten sich die Zeiten ja schon wesentlich gebessert! Ich wandte mich um Stoffreste an die großen Danziger Firmen: Erdemann u. Perlowitz, Potrykus und Fuchs, Walter und Fleck, Harder, das Kaufhaus Sternfeld etc. Alle zeigten viel Verständnis für unser Anliegen und gaben reichlich. Das große Kaufhaus Freymann allerdings gab nichts!
Am 21. Juni 1925, an einem Sonntag, hatten wir dann die große Ausstellung in der Loge Einigkeit auf Neugarten.
Es war ein wundervoller Erfolg!
Wir stellten Lehrgänge für die verschiedenen Berufsgruppen aus, dazu sehr viele Handarbeiten, die nachher verlost werden sollten. Die Schülerinnen hatten vorher 3000 Lose à 0,50 Pf. vertrieben .
Dazu wurde von den Schülerinnen hergestelltes Gebäck, Kuchen, Torten etc. verkauft. Der Wirt des Lagerhauses verkaufte dazu den Kaffee!
So haben Tausende im Laufe des Tages, bei herrlichstem Wetter damals unsere Ausstellung besucht. Und am Abend ging dann die Verlosung vor sich. Ich sehe noch Fräulein Kayser die Gewinn-Nummern ausrufen!
Zwischendrin hatten dann noch Fräulein Konding mit ihren Turnerinnen und Fräulein Timpf [?] mit ihrem Schülerinnenchor zur Unterhaltung unserer Gäste beigetragen.
Unser Reingewinn betrug rund 1500 Gulden. Davon mussten wir leider 300 Gulden wegen der öffentlichen Verlosung "Marktsteuer" abgeben!
Für das Geld schafften wir für die Schule eine Schülerinnen-Bücherei an.
Und wie war die politische Situation?
Nach dem Friedensschluß von Versailles wurde Danzig vom Mutterland abgetrennt. Am 10. Januar 1920 wurde der "Freistaat Danzig" ausgerufen. Zwischen Danzig und dem Reich lag jetzt der "polnische Korridor". Als ich im Juni 1920 von der Stadt nach Leipzig geschickt wurde, mußte ich zu Schiff nach Swinemünde fahren. Die Inflation von 1919-1923 machte sich selbstverständlich auch in Danzig verheerend bemerkbar, jedoch brachten wir es nur zu "Milliarden", während man im Reich bis zu "Billionen" heraufstieg! Mit der Einführung der "Guldenwährung" hörte dann endlich die "Schein"-wirtschaft auf, und uns, die wir dies alles mit erlebten, wird es unvergessen bleiben, als es hieß: "Das Silberschiff aus London ist angekommen!" und wir unser Monatsgehalt in harten silbernen 5 Guldenstücken unter ziemlichem Kraftaufwand nach Hause trugen!
Für mich, als der Leiterin der Schule, war die Tatsache, dass wir "Freistaat" wurden und vollständig vom Reich getrennt als selbstständiger Staat lebten, von sehr einschneidender Bedeutung. Ich stand mit meiner Mädchenberufsschule völlig auf mich selbst gestellt im Freistaat da! Während im Reich die Leiter und Leiterinnen der Mädchenberufsschulen zu regelmäßigen Direktoren-Konferenzen zusammenkamen, hatte ich keinerlei Verbindung mit ihnen. Ich holte mir die nötigen Anregungen durch entsprechende Festschriften und auch auf den großen Gewerbelehrer-Tagungen. Da wir auch keine Gewerbeschulrat im Freistaat hatten, so kam es, dass ich während den 25 Jahren, die ich die Schule leitete , niemals eine Revision meiner Schule erlebt habe! Ich war daher vollständig auf mich selbst und auf das Verantwortungsbewußtsein der Lehrkräfte angewiesen. Wenn ich auch den Lehrkräften, der großen Mehrzahl derselben, nur nachsagen kann, daß sie mein Vertrauen in sie nicht enttäuscht haben, so bin ich mir doch bewußt, dass eine ordentliche Revision von Zeit zu Zeit aufrütteln, ermunternd und heilsam für die Schule ist. Ich habe es daher oft bedauert, dass es nie dazu kam!
Einen gewissen Ersatz bildeten die großen und kleinen "Ausstellungen", die wir veranstalteten. Andererseits muss ich aber auch dankbar bekennen, dass mir wegen der mir anvertrauten Selbstständigkeit alle Wege offen standen, die mancherlei Pläne, die mir für den Ausbau der Schule nötig schienen, zu verwirklichen.
Doch - vorerst nahte für die Mädchenberufsschule eine bitterernste Krisis!

Der Fortbestand der Schule ist in Gefahr


Zwar hatte mir Senator Strunk anläßlich einer Sitzung des Schulausschusses der Stadtverordneten-Versammlung gesagt, daß er für das neue Etatsjahr (1926) 100.000 Gulden für einen neuen Schulbau für die Mädchenberufsschule einsetzen werde, oder eingesetzt habe. – Und ich war natürlich voller Freude und Hoffnung!
Da – am 3. Februar 1926 ein Blitz aus heiterem Himmel! – Zu mir in mein Amtszimmer kommt Fräulein Baatz und sagt: "Fräulein Groth, die Schülerinnen sagen, unsere Schule soll eingehen.! Das wäre schon in der Stadt bekannt! Haben Sie etwas davon gehört?"
Ich nun darauf: "Ach, Unsinn! Herr Senator Strunk hat mir noch vor kurzem gesagt, daß er für einen Schulbau für die Mädchenberufsschule 100.000 Gulden in den Etat einsetzen werde!"
Fräulein Baatz versicherte aber, daß die Mädchen dies ganz ernsthaft behauptet hätten. – Vielleicht gehörte irgend ein Vater der Stadtverordnetenversammlung an!
Da Herr Direktor Jasse der Stadtverordnetenversammlung angehörte, machte ich mich sofort auf zu seinem Amtszimmer, dass am anderen Ende des Korridors lag. Dort angekommen, erzählte ich ihm was ich eben von Fräulein B. gehört hatte und fragte ihn, ob ihm etwas davon bekannt wäre, und – zu meinem Schrecken! – erfuhr ich von ihm, daß er tatsächlich davon wußte! Nun, ich machte mich daraufhin sofort auf den Weg zu Herrn Oberschulrat Thiel! Dort angekommen sagte ich wörtlich: Herr Oberschulrat, ich komme aufgrund von Gerüchten! Und erzählte ihm, was ich von Fräulein B. erfahren hatte.
Und was geschah? Herr Oberschulrat Th. setzte mich erst einmal unter das "Amtsgeheimnis"! (Die Spatzen pfiffen es derweil von den Dächern!) Und dann sagte er, daß tatsächlich die Absicht bestehe, das Ortsstatut für die Mädchenberufsschule außer Kraft zu setzen, Da die Stadt kein Geld habe! Es soll ja allerdings nicht ganz aus sein mit der Schule! Soweit die Schülerinnen ein Schulgeld zahlen würden, könnten die Klassen weiter bestehen! Also freiwillig und Schulgeld!
Nun, meine Empörung über diese Zumutung war echt! Das wird mir jeder ohne weiteres glauben! Ich erklärte rundheraus, daß hiervon keine Rede sein können! 5 Jahre lang hatte ich mit großer Mühe die Schulpflicht für die Mädchen bei den Arbeitgebern durchgesetzt – und nun sollten sie die Mädel "freiwillig" schicken und dazu noch Schulgeld zahlen!!
Herr Oberschulrat Th. glaubte, es seinen Ansehen schuldig zu sein, mir zu sagen, daß ich als Direktorin doch wohl fähig sein müßte, zu beurteilen, wie meine Schülerinnen zur Schule stünden! Ich antwortete ihm darauf, daß ich wohl die Einstellung meiner Schülerinnen zur Schule kenne, auch daß ich wüßte, daß sie gern zur Schule kämen – schon des freien Arbeitstags wegen! – Daß ich jedoch keine Einsicht in ihr Portemonnaie hätte!
Ich fragte dann, ob denn auch die Knabenberufsschule dieser Maßnahme unterliege? Darauf die Antwort: Das käme überhaupt nicht in Frage! Schon deswegen nicht, weil die Jungen nicht zum Militärdienst eingezogen würden. So müßte wenigstens die Schulerziehung fortgesetzt werden.
Die Mädchenberufsschule sei in Danzig die jüngste Schulgattung, daher könne an ihr am ehesten die notwendige Einsparung erfolgen!
Nun, ich hoffe, dass es mir niemand verargen wird, wenn ich hier gestehe, daß ich an Oberschulrat Th. darauf antwortete: "Ist dies ihrer Weisheit letzter Schluß?" Meine Empörung darüber, daß man ohne mich die hinzuzuziehen, derartige Entschlüsse, sozusagen hinter meinem Rücken gefaßt hatte, machte sich hiermit Luft!
Im übrigen hatte ich schon auf dem Wege zum Oberschulrat – auf das Schlimmste gefasst – einen Ausweg gefunden! Und den eröffnete ich dann meinem Vorgesetzten! Ich sagte etwa folgendes: Wenn schon die Einsparung notwendig ist, so könnte ich nicht einsehen, weshalb dies nur auf Kosten des Bestandes der Mädchenberufsschule geschehen könne! Ich schlage vor, die Schulstunden für Mädchen auf die Hälfte herabzusetzen und das dann nötige Geld durch Einsparungen bei den Jungen, zum Beispiel von 8 Stunden auf 6 Stunden oder von 6 Stunden auf 4 Stunden heraus zu bekommen. So würde das Ortsstatut in Kraft bleiben, und, sobald sich die Finanzlage der Stadt gebessert hätte, könnte der normale Schulbetrieb wieder einsetzen!
Ach ja, auf diesen Ausweg waren die Herren Stadtväter nicht gekommen!
(Ich fürchte im übrigen, dass Herr Oberschulrat Th. im Grunde froh war, das ihm lästige Berufsschuldezernat loszuwerden!)
Sichtlich überrascht nahm er meinen Vorschlag zur Kenntnis! Betonte aber, daß ich vor allem erst mal den Plan mit der Freiwilligkeit und dem Schulgeld ausarbeiten solle!!
Dies geschah also am 3. Februar 1926. Ich glaube, es war ein Donnerstag oder Freitag!
Ich habe mich jedenfalls zu Hause sofort an die Ausarbeitung meines Planes gemacht. Den albernen Vorschlag mit der Freiwilligkeit und dem Schulgeld streifte ich nur kurz als unzweckmäßig und undurchführbar, – stellte aber eine genaue Berechnung auf unter Voraussetzung der halben Stundenzahl. Ich setzte außerdem den niedrigsten Stundensatz für nebenamtlichen Unterricht fest. (Soweit ich mich erinnere, waren 2 Stundensätze anwendbar: 3 Gulden und 2,80 Gulden). Mich lenkte dabei der Gedanke, daß die Lehrkräfte bei der Entscheidung um "Sein oder Nichtsein" schon mit dem niedrigeren Stundenansatz zufrieden sein würden!
Am darauf folgenden Montag brachte ich dann meine Ausarbeitung – und zwar in zweifacher Ausführung, die zweite für Herrn Senator Strunk!– zu Herrn Oberschulrat Th.. Ich sagte ihm auch, daß ich die gleiche Ausarbeitung Herrn Senator Strunk bringen würde! Er darauf: "Fräulein Groth es hat doch keinen Zweck!" Ich darauf: "Herr Senator Strunk muß diese Ausarbeitung erhalten!" – So gingen wir auseinander. Ich mit meinem Schriftstück in das Vorzimmer des Senators. Für alle Fälle hatte ich noch einen Zettel beigelegt, auf den ich geschrieben hatte:
Da es sich um Sein oder Nichtsein der Mädchenberufsschule handelt, bitte ich, mich zu einer Rücksprache vorzuladen. Groth

Im Vorzimmer des Senators erfuhr ich, daß gerade eine Sitzung beim Senator war, ich ihn also nicht sprechen konnte. Zudem kam dann auch gerade Oberschulrat Th. in das Vorzimmer, er war auch zur Sitzung geladen. Als er mich sah, sagte eher wieder achselzuckend: "Fräulein Groth, es hat doch keinen Zweck!" Ich aber bat die Sekretärin, die im Vorzimmer saß, mein Schriftstück nach der Sitzung sofort Herrn Senator Strunk vorzulegen.
Und was geschah? Als ich am folgenden Dienstag um 8:00 Uhr in der Schule erschienen – helle Aufregung im Büro! "Fräulein Groth, sie sollen sofort zum Senat ins Amtszimmer des Senators kommen! Herr Direktor Jasse ist auch vorgeladen!"
Nun ja, man wird mir's wohl glauben, daß ich geflügelten Schrittes zum Senat nach Neugarten ging!
Im Amtszimmer saß der Senator mit Oberschulrat Th. zusammen. Als ich ins Zimmer trat, kam Senator Strunk mir mit ausgestrecktem Arm entgegen, "Fräulein Groth, in letzter Sekunde ein Strohhalm!"
Vor ihm lag mein Schriftstück, bedeckt mit Zahlen und Anmerkungen! Neben ihm saß Oberschulrat Th. und versuchte dem Senator Aufklärung über mein Schreiben zu geben – jedoch so unzulänglich, dasß ich einmal dazwischen rufen mußte: "Herr Senator, genau das Gegenteil!"
Und dann erschien auch Herr Direktor Jasse. Sichtlich erstaunt darüber, was hier in so früher Morgenstunde vorging
Doch Senator Strunk ließ ihm nicht viel Zeit zum Verwundern. Er klärte ihn schnell auf – und dann ging das "Anzapfen" los, – ob er wollte oder nicht. Das ging so lange, bis Senator Strunk die Summe, die ich ausgerechnet hatte, zusammen hatte.
Ehe Herr Direktor Jasse eintrat, hatte Senator Strunk im übrigen noch Herrn Oberschulrat Th. gefragt, wie es eigentlich mit dem Haus des Weinlig-Lyzeums in der Hundegasse steht. Das Haus würde doch nun frei, da das Weinlig-Lyzeum ja mit dem Scherler-Lyzeum verbunden würde! Nun, da konnte Oberschulrat Th. ja nicht um hin zuzugeben, das es frei sei – und für unsere Schule – offen! Also, wir kriegten nach aller Angst sogar noch ein Haus geschenkt!
Und als dann Herr Direktor Jasse genügend angezapft war, nahm Senator Strunk die Akten unter den Arm, verabschiedete sich freundlich von uns, rief mir zu, dass ich Nachricht bekommen würde, – und verschwand – zur entscheidenden Senatssitzung!!
Wir Drei verließen dann mit reichlich gemischten Gefühlen den Senat, wie man sich wohl denken kann! Meine männlichen Begleiter recht verdeppert – und ich? Nun, das kann sich jeder denken! Ich verabschiedete mich jedenfalls schnell von ihnen!Am folgenden Mittwoch dann der Anruf von Senator Strunk: Fräulein Groth, ihr Plan ist angenommen!
Also: gewonnen!!
Ich benachrichtigte sofort die Lehrkräfte von dem Beschluß des Senats, gab auch einige Erklärungen ab. Es stand ja nun eine große Einschränkung vor uns – und ich hatte viel zu überlegen, mußte ja auch der Lehrkörper, jedenfalls den nebenamtliche verringert werden!

Nach ein paar Tagen – ich saß gerade über meinen Plänen, – es war vormittags nach Schulschluß, kommt plötzlich eine Lehrerin – den Namen nenne ich nicht! – zu mir und sagt: "Fräulein Groth, im Kollegium herrscht große Unruhe und Aufregung darüber, daß fortan die Lehrerinnen nur den niedrigeren Stundensatz erhalten sollen, während die Herren ihre drei Mark weiter erhalten! Nun, ich muß gestehen, dies hatte ich nicht für möglich gehalten! Hatte ich doch gemeint, daß wir nur froh sein sollten, daß die Schule wenigstens am Leben bleibt!
Ratlos zuerst saß ich nun da an meinem Schreibtisch. Was tun? Also noch einmal meine Berechnungen vorgenommen! Welche Summe würde es ausmachen, wenn auch die Damen drei Mark für die Stunde erhielten?!
Ich weiß natürlich nicht mehr die genaue Summe! Vielleicht 10-12.000 M? Nun ja, es war mittlerweile schon spät geworden! Ich mußte mich ja wohl zur Elektrischen auf den Heimweg zum Mittagessen begeben. Doch – ich war wie geschlagen! Auf dem Kohlenmarkt stieg ich in meine Langfuhr Elektrische – ging ganz weit nach vorn. Der Schaffner klingelte zur Abfahrt – da, was sehe ich? Senator Strunk kommt vom Theater her gelaufen – und springt auf die Elektrische! Und, als er mich da ganz vorne entdeckt, kommt er freundlich lächelnd mit ausgestreckter Hand auf mich zu!
Ach, ich konnte nur sagen: "Herr Senator, sie kommen wie ein Engel vom Himmel zu mir!" Und dann erzählte ich ihm von meiner Not. Aufmerksam gehörte er zu, sann dann nach und sagte schließlich: "Fräulein Groth, ich glaube ich kann Ihnen helfen! Ich habe da so einen kleinen Fonds! Ich werde mal nachsehen! Morgen Früh werde ich sie anrufen!"
Und dann kam am anderen Morgen der Anruf:
"
Alles in Ordnung! Es geht!"
Das war wirklich Hilfe in Not!

Die Schule bekommt ein eigenes Gebäude


Und nun ging es beschleunigt an die Einrichtung der Weinlig-Schule in der Hundegasse! Es mußte doch wenigstens eine Küche eingerichtet werden. Dann die Schulbänke, erst teilweise durch Tische und Schemel ersetzt werden, etc. etc. An dieser Stelle möchte ich das lieben Tischlermeisters Wilhelm Wolff, Langfuhr gedenken, der wie ein rechter Freund mich beriet, tüchtige und saubere Arbeit lieferte und absolut zuverlässig war.
Ich pendelte nun immer zwischen der Großen Mühle und der Hundegasse hin und her – und kam meistens gerade zur rechten Zeit, um irgendetwas Falsches bei der Einrichtung zu korrigieren!
Ich selbst schenkte damals unserem Schulhaus den Küchenbalkon, der von "Küche 9" über dem Seitenflügel des Schulhauses errichtet wurde.
Am 21. Juni 1926 – ein Jahr nach unserer großen Ausstellung in der Loge Einigkeit auf Neugarten – sind wir dann in unser Schulhaus, Hundegasse 54 eingezogen!
Ein großer Tag! Und festlich sollte er vor sich gehen! Danzig sollte wissen, daß es eine Mädchenberufsschule hat!
Es traf sich glücklich, daß die Schwester meiner langjährigen Schulfreundin die Privatsekretärin unseres Senatspräsidenten Dr. Sahm war. Durch deren Vermittlung wurde ich zu einer Rücksprache mit dem Senatspräsidenten vorgeladen, in deren Verlauf ich den Präsidenten bat, zu der Einzugsfeierlichkeit unserer Schülerinnen in unser neues Schulhaus zu erscheinen, da ich es für sehr wünschenswert und richtig hielte, daß die Danziger Mädchenberufsschule auch nach außen hin den Platz unter den Danziger Schulen einnimmt, der ihr wegen ihrer Bedeutung zukommt.
Der Präsident sagte zu – fragte nur noch, welche Rolle ihm dabei zugedacht sei. Ich erwiderte, daß wir sehr dankbar und erfreut schon allein durch sein bloßes Erscheinen seien.
Leider war Senator Strunk zu dem Zeitpunkt unseres Einzugs bettlägerig krank, er wäre sicher sehr gern gekommen, auch um eine entsprechende Ansprache zu halten! Notgedrungen mußte nun Herr Oberschulrat Th. ran!
Nachdem ich nun die Zusage der Senatspräsidenten hatte, suchte ich den Oberschulrat auf und erstattete ihm Bericht bezüglich unseres Einzuges. Als er von mir hörte, daß ich den Senatspräsidenten eingeladen hatte, sagte er sichtlich peinlich überrascht: "Ja, ist das denn nötig?" – Nach allen meinen bisherigen Erfahrungen mit Oberschulrat Th. wird man wohl verstehen, dass mich ein gewisses Gefühl Der Genugtuung erfüllte, als ich ihm darauf erwiderte, daß dies allerdings sehr nötig und wichtig sei. Denn unsere Mädchenberufsschule sei nicht irgendeine "Winkelschule", oder eine "Frau Mädchenschule, sondern die größte Schule für Mädchen in Danzig und hätte große Aufgaben zu erfüllen.
Und so kam dann der feierlicher Tag des Umzugs und Einzugs, der 21. Juni 1926 heran.
Es war eine sehr schöne Feier! Herr Direktor Jasse war auch erschienen. Auch die Presse war erschienen! Herr Oberschulrat Th. hielt eine würdige Ansprache. Und hier will ich auch nicht unterlassen, die Bemerkung, die er über mich machte, aufzuschreiben. – Er wollte sichtlich wohl damit manches gut machen von dem, was er mir durch seine Gleichgültigkeit angetan hatte! Er sprach von Pestalozzi und meinte "seines Geistes hätte ich einen Hauch verspürt. Mich leite nur der Gedanke:
"
Alles für meine Schule! Nichts für mich!"
Nun, das war ja sehr freundlich von ihm gemeint!
Im übrigen kam er, nachdem wir das ganze Schulhaus besichtigt hatten, und der Senatspräsident fortgefahren war, noch einmal in mein Amtszimmer und sagte, daß er wohl einsehe, daß er sich bisher ziemlich lau meiner Schule gegenüber verhalten hätte, daß ich aber wissen solle, daß ihm das, was er über mich gesagt hätte, aus dem Herzen gekommen sei! Nun, das war besonders freundlich von ihm!
Es mag ja für einen Schulrat schwer sein, wenn er bislang nur Dezernent für höhere und Mittelschulen war, auf einmal nun noch das Dezernat für die Berufsschulen angehängt bekommt! Berufsschulen mit ihrer Vielgestaltigkeit und Vielseitigkeit, mit ihrer engen Verbundenheit mit dem Wirtschaftsleben.
Als Kuriosum hatte ich damals die Taktik von Oberschulrat Th. empfunden, dass er eigentlich immer, wenn ich mit irgendeinem Antrag zu ihm kam, zuerst "Nein!" sagte. Er wußte anscheinend genau, daß ich nicht so leicht abzuschütteln war, ich ihn vielmehr eingehend über den vorliegenden Fall aufklären würde, bis er schließlich – "Ja!" sagte. Unvergessen bleibt mir der eine Fall, als er mir einst sagte: "Fräulein Groth, Sie gehen als Siegerin aus diesem Zimmer!" –
Also nun hatten wir ein eigenes Schulhaus! Die in der Stadt Danzig selbst genutzten Schulhäuser wurden nicht mehr benötigt, die Schulhäuser der Außenwerke blieben selbstverständlich.
Schwierig war es ja nun, den Plan auf die verkürzte Unterrichtszeit umzustellen, also auch, nebenamtlichen Lehrkräfte zu entlassen! Selbstverständlich bemühte ich mich, so gerecht und verständnisvoll wie möglich dabei vorzugehen! Leicht war es jedenfalls für mich nicht! Im übrigen dauerte der Zustand des verkürzten Unterricht meines Wissens höchstens 2 Jahre.

Neue Aufgaben in der Wirtschaftskrise


Damals hatten wir noch nicht die allgemeine Berufsschulpflicht. Die Hausmädchen waren auch noch nicht schulpflichtig. Das Wirtschaftsleben in Danzig ging gegen Ende der zwanziger Jahre merklich zurück. Die Arbeitslosenziffer stieg höher und höher. An den Volksschulen machte sich anscheinend der Geburtenrückgang nach dem ersten Weltkrieg bemerkbar. Viele junge Lehrerinnen hatten keine Beschäftigung! Viele Jugendliche suchten vergeblich nach Lehrstellen. Zu der Zeit wandte sich der Verein der Kriegshinterbliebenen an mich mit der Bitte, Klassen für Kriegerwaisen einzurichten, wie ja eine solche freiwillige Klasse für Schulentlassene mit 20 Wochenstunden schon bestand. Das Schulgeld bezahlte der Verband. Es war ein richtiges "Jugendnot-Werk". Ich richtete so genannte Vorlehre-Klassen ein für spätere kaufmännische oder gewerbliche Lehrlinge, oder auch nur hauswirtschaftliche Klassen.
Da ich dauernd mit dem Arbeitsamt in Verbindung stand, bekam ich auch einen erschreckenden Einblick in das Los der arbeitslosen Mädchen, die in langen Reihen auf den Korridoren standen, um die Arbeitslosen-Unterstützung zu erhalten.
Da war es für mich eine Selbstverständlichkeit für diese Mädchen so genannte Erwerbslosen -Kurse in den Abendstunden einzurichten. Ich kann mich allerdings nicht mehr entsinnen, wer diese Kurse bezahlte! Das Arbeitsamt? Oder wurden sie aus meinem Etat bezahlt? Eine derartige Notlage bezüglich des Etats wie in dem Jahr 1926 habe ich in den folgenden Jahren nicht mehr erlebt!
Doch nun ist es wohl an der Zeit, noch einmal einen Rückblick auf die Zeit
vor 1920 zu werfen, als ich noch das "Sonntagsheim für junge Mädchen" und den "Schidlitzer Jugendbund" leitete!
Ich habe beide Mädchenbünde jahrelang geleitet, auch durch die Kriegsjahre von 1914-1918. Besonders nahmen wir uns damals der Kriegsblinden an, die wir zu geselligen Zusammenkünften sonntags einluden. Als ich 1920 den Aufbau der Mädchenberufsschule begann, gab ich das "Sonntagsheim" des "Evangelischen Frauenbundes" ab. Den "Schidlitzer Jugendbund" habe ich dann noch bis zum Jahre 1922 weitergeführt. Da 1921 das Ortsstatut in Kraft trat, war ja nun auch für die schulentlassene Jugend etwas geschehen !
Und dennoch - den Schidlitzer Jugendbund kann ich nicht so ohne weiteres verlassen! Nahm ich doch von ihm ein "Erbstück" mit in die Mädchenberufsschule! Und zwar – unsere Gartenparzelle mit Laube in der Schidlitzer Laubenkolonie! Wir hatten diese Parzelle mit Laube vor einigen Jahren von dem Vorstand der Laubenkolonie erworben und viele frohe Stunden dort verlebt.
Anfang der zwanziger Jahre hieß es auf einmal, die Laubenkolonie solle eingehen, weil die Erben des Geländes das Land als "Bauland" verwenden wollten! Die Kolonisten sollten als Ersatz Gelände auf dem Bischofsberg erhalten!
Der "Schidlitzer Jugendbund" war sozusagen in der Mädchenberufsschule aufgegangen! Ich stellte daher, solange wir noch unsere Parzelle in der Schidlitzer Laubenkolonie behalten durften, unseren dortigen Gartenplatz mit seiner Laube der Mädchenberufsschule zur Verfügung, bis die endgültige Auflösung der Kolonie nach etwa 2 Jahren vor sich ging. Die Laube stellte ich dem Schildlitzer Luisen-Heim zur Verfügung. Der Transport der Laube bis zum Luisen-Heim, das ganz in der Nähe der Laubenkolonie lag, ging ohne Schwierigkeit von statten.
Auf dem Bischofsberg war inzwischen das Land, auf dem nun die neue Kolonie "Bergeshöh" erstehen sollte, mit einem Drahtzaun umgeben worden. Ich hatte bei dem Vorstand eine Parzelle für mich persönlich, für meinen eigenen Bedarf beantragt und auch erhalten. Wie es sich später herausstellte, hatte ich ohne es freilich zuerst zu ahnen, nach meiner Meinung den schönsten und für den Zweck, der mir vorschwebte, geeignetsten Platz für mich ausgesucht! Er lag etwa 25 Minuten von der Schule in der Hundegasse entfernt – und zwar in völlig ländlicher Umgebung!
Das Land war vorher ein Kartoffelacker gewesen! Rührend war es nun, zu beobachten, wie in den nächsten Tagen die Kolonisten mit ihren alten Lauben und den ausgegrabenen Obstbäumen – auf kleine Pferdefuhrwerke geladen – vorsichtig und mühsam den Bischofsberg hinauf fuhren – und, oh Wunder! – innerhalb einer Woche war der Kartoffelacker ein dicht bepflanzter Obstgarten geworden.
Und meine Parzelle? Ein mir bekannter Gärtner legte nach meinen Angaben den Garten mit seinen Sträuchern und Obstbäumen an. Ein befreundeter junger Student entwarf die Zeichnung für die Laube und die Nebenräume, Küche und Schuppen. Ein tüchtiger Tischlermeister baute alles auf, angestrichen wurde die Laube rotbraun mit weiß und blau angestrichen den Fenstern – wie ich es 1926 in den großen Ferien in Schweden gesehen hatte – und fertig war mein kleines Jugendheim, das ich mir gewünscht hatte für 10 erholungsbedürftige arbeitslose Schülerinnen meiner Schule. Das sollte, wie man ja heutzutage sagt mein ganz persönliches "hobby" werden!
Ein langer Gartentisch, rundum lange Bänke für die Mädel, eine "Pergola", gedielt mit 10 großen Liegestühlen, natürlich mit Matratzen und Wolldecken – das war die Ausrüstung!
Eine weitere Beschreibung muß ich mir versagen. Im Laufe der Jahre sind ja dann Tausende junge Mädchen dort in meinem Gärtchen auf dem Bischofsberg gewesen.
Die erholungsbedürftigen Mädchen standen unter der ärztlichen Aufsicht des Gesundheitsamtes. Die Mädels waren in der Regel vom 15. Mai bis Ende September mit Ausnahme des Sonntags täglich von 8:00 Uhr bis 18:00 Uhr auf dem Bischofsberg. Sie wurden auch dort verpflegt – das Abendbrot nahmen sie zu Hause ein.
Von 1927-1932 habe ich diese kleine Erholungsstätte durchgeführt. Die Leitung übertrug ich jungen Lehrerinnen, die in diesen Jahren wegen der großen allgemeinen Arbeitslosigkeit ohne Beschäftigung waren. Unter anderem hat Fräulein Kloewechern [?] an und am längsten Fräulein Lucie Kneiding diese Stätte geleitet.
Die Arbeitslosigkeit nahm in den Jahren um 1930 in einem erschreckenden Maße zu. Erschütternd war es für mich immer, wenn ich auf dem Wege zu der kleinen Erholungsstätte – am helllichten Tage, in den Vormittagsstunden – auf dem Bischofsberge an den dort lagernden und herumlungernden Männern vorbeiging, die – Karten spielten! Um wenigstens zu einem Teil diese Notlage abzubauen, entstanden Ostern 1932 die männlichen "Arbeitslager". Vom Arbeitsamt und dem Dezernenten der Arbeitslager wurde mir nahe gelegt, auch für die weiblichen Arbeitslosen in einer geeigneten Form einen "Arbeitsdienst" einzurichten. Vom Arbeitsamt wurde ein Geldzuschuß von 0,20 Pf. pro Kopf und Tag zugesagt. Selbstverständlich sah ich sofort ein, daß hier eine wichtige Aufgabe für unsere Schule vorlag, und so richtete ich im Oktober 1932 den ersten weiblichen, freiwilligen Arbeitsdienst in Danzig ein.
Während für die Männer, die mit Außenarbeiten, wie Wegebau, Straßenverbesserungen etc. beschäftigt wurden, das Leben in Arbeitslagern die geeignetste Form war, konnte der Arbeitsdienst, den ich für die Mädchen von unserer Schule aus einrichtete, selbstverständlich nur als "Halbtagsdienst", der in den Räumen und bei den Gegebenheiten unseres Schulhauses vor sich gehen mußte, eingerichtet werden. Die im 3. Stock gelegene Schulküche, dazu der große Saal mit den Nähmaschinen im selben Stock stand den Mädchen täglich bis 2 Uhr zur Verfügung, dazu unsere Waschküche im Erdgeschoß.
60 Mädel wurden uns vom Arbeitsamt überwiesen. Sie wurden in 3 Gruppen eingeteilt. Unterrichtsfächer waren Kochen und Hausarbeit, Wäschenähen und Ausbessern, Waschen und Plätten, dazu theoretischer Unterricht in Kinderpflege, Gesundheits- und Krankenpflege und Erziehungslehre.
Drei jungen, damals arbeitslosen Gewerbelehrerinnen übertrug ich die Leitung dieses ersten weiblichen Arbeitsdienstes. Soweit ich mich erinnere, war ihre Besoldung durch das Arbeitsamt denkbar minimal! Doch ich hatte durch aus den Eindruck, daß sie sich freudig in diese wertvolle und wichtige Aufgabe schickten, – und – sie waren wenigstens nicht zur Tatenlosigkeit und Arbeitslosigkeit verurteilt!
Die Mädchen arbeiteten für die Männerlager! Die Wäsche der Männer wurde gewaschen, ausgebessert und geplättet (Ich entsinne mich, dass ich selbst zuerst einmal 120 Hemden zugeschnitten habe, damit die Männer ihr Hemd wechseln konnten!)
Es herrschte ein fröhliches, reges und munteres Leben unter den Beteiligten. Ich bin überzeugt, daß es nun, – da alles zerschlagen ist, und alles uns nur noch wie ein Märchen, ein schöner Traum erscheint, – allen eine liebe Erinnerung ist!
Meine kleine Erholungsstätte wurde allerdings Ende September 1932 geschlossen! Dafür zog nun im Sommer 1933 ein Teil der Arbeitsmädchen auf den Bischofsberg. Ich hatte ganz in der Nähe der Laubenkolonie – (ich glaube, es war die Bastion "Aussprung", der Bischofsberg war ja früher Befestigungsgelände!) einen Acker gepachtet, – diesmal aus Etatsmitteln! Dieses Land bearbeiteten nun die Mädchen des Arbeitsdienstes! Die Früchte kamen dem Kochunterricht der ganzen Schule zu gut! Wir legten auch ein "Flachsfeld" an. Da in der näheren Umgebung von Danzig nirgends Flachs angebaut wurde, setzte ich, als es blühte, einen kleinen Artikel in unsere "Danziger Neusten Nachrichten".
Den Flachs haben dann die Mädels im Winter nach allen Regeln der Kunst bearbeitet. Sie haben dann den Flachs versponnen, – und jedes Mädel hat sich dann auf unseren Webstühlen ein kleines Handtuch daraus gewebt.
So lief denn also unsere Mädchenberufsschule mit allen ihren Fachklassen und dem "Arbeitsdienst" im 3. Stock flott auf vollen Touren! Im Oktober 1933 feierten wir dann das einjährige Bestehen des "Danziger freiwilligen, weiblichen Arbeitsdienstes"! Es war ein wunderschöner Festtag!
Aus den 14 männlichen Arbeitslagern kamen Abordnungen – mit Geschenken! Selbst gearbeitete Nähkästen, Wandsprüche etc. (sogar ein selbst gearbeiteter Nähtisch wurde gebracht!)
Wir waren etwa 130 Personen. Nach einer Ansprache des obersten Lagerleiters gab es dann ein Festessen und anschließend daran Kaffee und Kuchen. Darauf ein Tänzchen und als die Freude so um 4 Uhr- nachmittags natürlich - ungefähr den Höhepunkt erreicht hatte – machte ich Schluß in der Erwägung, daß es immer am richtigsten ist, aufzuhören, wenn es am schönsten ist!

Veränderungen unter nationalsozialistischer Herrschaft


Und wie ging es dann weiter?
Nun ja bis zum Herbst 1934 ging es in gewohnter Weise weiter, – bis eines Tages die oberste Frauenschaftsleiterin, Frau Günther, in meinem Amtszimmer erschien! Im Jahr 1933 war ja die Machtübernahme Hitlers vor sich gegangen! Selbstverständlich beanspruchte Frau Günther den weiblichen Arbeitsdienst, den sie nun erst richtig aufziehen würde, für sich und die Frauenschaft!
Als ein paar Tage darauf wieder aus einem Lager Wäsche zum Waschen und Ausbessern gebracht wurde, musste ich den Männern sagen, daß sie sich fortan damit an die Frauenschaft wenden müßten, denn die hätte jetzt den weiblichen Arbeitsdienst übernommen.
Ach, es tat mir leid, ihnen das sagen zu müssen! Die Männer waren einfach entsetzt, sagten sie würden alle nun aus den Lagern fortlaufen! –
Nun, ich weiß nicht genau, wie es nun bei der Frauenschaft weiterging! Ich glaube, sie richteten nun richtige "Mädchenlager" ein. Für die Männerlager wurde nicht mehr gearbeitet, die werden da ja wohl einen Ausweg gefunden haben!
Der Sommer 1934 verlief für den weiblichen Arbeitsdienst unserer Schule in gewohnter Weise, sowohl an unserer Schule wie auf dem Bischofsberg.

Von meiner Laube aus ging der Blick auf einen etwas tiefer gelegenen Grasplatz. Der Bischofsberg war ja früher Festungsgelände mit den typischen Anlagen und Wällen, verschieden gelagerten ebenen Plätzen etc. Diesen Platz, ich glaube, er wurde als kleiner Spiel- und Sportplatz früher benutzt, pachtete ich für die Schule, da ich beabsichtigte, dort ein kleines Jugendheim für die Schule zu erbauen. Vormittags sollte es als Kindergarten für 24 in der Umgebung wohnende Kinder dienen.
Da der Platz jedoch sehr verwühlt war und sich in einem sehr schlechten Zustand befand, wandte ich mich an den Leiter der männlichen Arbeitslager mit der Bitte, die notwendigen Planierungsarbeiten durch seine Leute ausführen zu lassen. Bereitwilligst übernahmen die Männer dieser Arbeit, sozusagen zum Dank für die Hilfe, die die Mädels ihnen geleistet hatten!
Die Arbeiten sollten angeblich in etwa 6 Wochen fertig gestellt sein, – zogen sich aber auf mindestens ein Vierteljahr hin! Es war doch zu schön dort auf dem Bischofsberg! Auf dem Acker arbeiteten die Mädel und unten auf dem Platz gruben und karrten die Männer – und gemeinsam wurde dann die Frühstückspause abgehalten, für die die Mädels in unserer kleinen Küche den Kaffee kochten! Kein Wunder, daß sich die Arbeiten "etwas" "in die Länge zogen"!!
Doch, Ende 1934 ging
unser weiblicher Arbeitsdienst in die Hand der Frauenschaft über. Dennoch gaben wir die Arbeit an der arbeitslosen weiblichen Jugend nicht ganz auf. Wir unterhielten weiterhin unter der Bezeichnung "Mütterschule" Erwerbslosenkurse.
Wie lange wir diese Kurse durchhielten, ist meinem Gedächtnis nicht mehr gegenwärtig!
Im Frühjahr 1935 war unterdessen mein kleines "Jugendheim" unser "Berghäuschen" fertig gestellt worden. Der ringsum mit Fliederbüschen umsäumte Platz prangte in frischem Frühlingsgrün, und unsere Mädels zogen von der Schule in langen Zügen von der Schule in der Hundegasse über den "Feuerwehrplatz", den Heumarkt und "das schwarze Meer" hinauf zum Bischofsberg, denn dort sollte das "Richtfest" unseres Berghäuschens gefeiert werden! Tischlermeister Wolff zusammen mit seinem Sohn hatten es aufgebaut, die "Richtkrone" prangte über dem Dach, von dem aus Herr Wolf junior seinen Richtfestspruch sprach.
Anfang Mai 1935 war dann das "Berghäuschen" fertig!
Es war mein Geschenk an die Schule.
Im Anschluß an eine Maifeier auf dem Bischofsberg, an der auch Herr Oberschulrat Kesten teilnahm, wurde ihm feierlich der Schlüssel des "Berghäuschens" als dem Eigentum der Schule – überreicht.
Und dann belebte sich das Berghäuschen mit 24 fröhlichen Kindern! Eine Kindergärtnerin betreute sie. Ihr zur Seite standen jeweils 4-6 Schülerinnen, die, sobald sie lehrplanmäßig Unterricht in Säuglings-und Kinderpflege in der Schule erhielten, zum Kindergarten abgeordnet wurden.
Durch den von Göring 1935 gegebenen Erlaß, nach welchem alle Mädchen nach dem Verlassen der Volksschule ein so genanntes "Pflichtjahr" in einer Familie, einem Haushalt ableisten mußten, ergab es sich zwangsläufig, daß nun die "allgemeine Berufsschulpflicht" anlief.
Ich erhielt fortan von den Volks- und Mittelschulen die Listen über die schulentlassenen Mädchen. Diese wurden dann in die hauswirtschaftlichen Klassen eingeschult. So vergrößerte sich die Schülerinnenzahl beträchtlich. Selbstverständlich vergrößerte sich auch der Lehrkörper, vor allem an hauptamtlich angestellten Lehrkräften.
Im Jahre 1945, also beim großen Zusammenbruch, zählte das Lehrerkollegium – einige wenige nebenamtliche Fachkräfte mitgezählt – einige 50 Lehrkräfte!

In der Mädchenberufsschule in Danzig bestanden folgende Klassen.

Lehrlingsklassen für
1. Kontoristinnen
2. Verkäuferinnen
3. Schneiderinnen
4. Putzmacherinnen
5. Weißzeugnäherinnen
6. Frisösen
7. Hauswirtschaftslehrlinge
8. Kinderpflegerinnen
9. Technische Zeichnerinnen
Arbeiterinnenklassen
1. Bernsteinarbeiterinnen
2. Keramikarbeiterinnen
3. ungelernter Arbeiterinnen
Dazu:
Freiwillige Klassen (Vorlehre!) und nach der Einführung der allgemeinen Berufsschulpflicht die Pflichtjahrklassen, in die auch die Hausangestellten eingeschult wurden.
Die Schule zählte kurz vor dem Zusammenbruch im Jahre 1945 über 4000 Schülerinnen!
Im Jahre 1940 feierten wir am 12. April das 20-jährige Bestehen der Schule. Am 12. April 1945 hätten wir unser 25. Jubiläum feiern können!
Doch – das Schicksal versagte es uns! Am 1. Februar 1945 habe ich mit dem Kollegium meine letzte Konferenz abgehalten!
Und dann habe ich mein Amtszimmer dem Herrn abgegeben, der für die Versorgung der Flüchtlinge zuständig war, Denn das Schulhaus wurde nun Zufluchtsstätte für ungezählte Flüchtlinge aus Ostpreußen.
Ich habe unser liebes Schulhaus, Hundegasse 54, nicht mehr wieder gesehen. Es ist in den Märztagen 1945 durch Bombenwurf bis auf den Grund zerstört worden.

Anna Groth
Eisenach, 10. Januar 1959

Geschichte der städtischen Mädchenberufsschule zu Danzig, begründet den 12. April 1920

Von der Volksschullehrerin zum Aufbau einer Berufsschule Wie und weshalb ich in Danzig die Direktorin der Mädchenberufsschule wurde!  ...